2020, noch vor Corona, begann ich bei der Handwerskammer meine Ausbildung als Gestalterin im Handwerk. Ich hab mir damit nicht nur einen Kindheitstraum erfüllt, sondern auch eine spannende Reise durch Farben, Formen und Materialien erlebt. In einem Porträt, das während des Kurses entstand, sind einige Gedanken dazu festgehalten.
2023 im Februar war es dann so weit - die Prüfung stand ins Haus. Ich musste ein Thema finden, dass zu meinem "Gewerk" passt, es so aufbereiten, dass das Ergebnis nicht nur gestalterisch hochwertig ist, sondern auch gleichzeitig innovativ und am besten auch noch einzigartig. Ja. Nichts einfacher als das, stimmts? Also stellte sich die Frage, wo ansetzen? Was auswählen? Vielleicht geben ja die Modenschauen in Paris oder New York eine Antwort? Oder das Recycling, das in aller Munde ist? Oder beides...?
Also erst einmal anfangen mit der Recherche - was ist für die Textilwirtschaft aktuell wichtig? Und schon beim ersten Hinsehen stolperte ich über folgenden Fakt: Im Jahr kaufen sich Deutsche im Durchschnitt 60 Kleidungsstücke. Viele davon werden nie getragen, und es werden jährlich fast 1,5 Mio Tonnen Kleidung weggeworfen. Gleichzeitig gibt es Situationen, in denen lieb gewordene Stücke wegen ihrer emotionalen Bedeutung für die Besitzer nicht weggeworfen werden, obwohl sie nicht mehr getragen werden können.
Recycling von Kleidung ist daher ein wichtiges Thema. In der Regel werden recycelte Textilien wegen der verwendeten Fasermischungen nicht wieder für Kleidung verwendet. Die Wiedergewinnung der sortenreinen Ausgangsfasern ist ausgesprochen aufwändig. Für die industrielle Weiterverarbeitung ist dies jedoch notwendig, da Maschinen nur nach einstellbaren Kriterien arbeiten, die sich für unterschiedliche Fasern jedoch unterscheiden. Weltweit gelangt aus diesem Grund nur ca. 1% der Altkleider in das Textilrecycling. Da müsste sich doch was machen lassen! Was kann das hnadwerk, was die Industrie (noch) nicht kann?
Das Problem der Mischfasern lässt sich lösen, wenn Textilien zu Artyarns, also zu Künstlergarnen, versponnen werden, die sich durch eine auffällige Struktur auszeichnen. Einschlüsse anderer Fasern sind hier nämlich keine kein Problem mehr, sondern erwünschte dekorative Elemente. Verarbeitet mit neuen Fasern oder Garnen können ausdruckstarke, haltbare Garne gewonnen werden, die im Handarbeitsbereich Verwendung finden können. Das heißt, ich könnte ein Garn "bauen", dass nicht nur einen unverwechselbaren Charakter hat, sondern ich kann es auch passend zum Ausgangsmaterial individuell einfärben!
Das war der Startpunkt! Ich habe mich also zuallerserst ins Sächsische Textilforschungsinstitut auf der Annaberger Straße aufgemacht. Aber wie das so ist - das, was einfach schien, war anfangs ganz schön schwierig. Die Kollegen waren erst einmal nicht erreichbar. Die einen in Toki, die anderen irgendwo in Deutschland, und mir lief die Zeit davon.... Dann konnte ich jemanden erreichen und einen Termin mit dem Labor ausmachen. Dort sollten meine Altkleider in Fasern gerissen werden. Dochzuvor musste ich sie erst einmal zu kleinen Streifen schneiden. Sonst beißt sich nämlich der Reißwolf die Zähne aus.
Das Schneiden war unspektakulär.. Doch das Reißen! Hülfäää!!! Vorne in den Reißwolf hab ich ein paar wenige Schnipsel aus drei T-Shirts reigegeben, aber hinten... an anderen Ende des Wolfs kam ein riesiges Vlies wieder raus. Ich dachte spontan "Töpfchen, steh!" Doch das Töpfchen, also der Reißwolf, dachte gar nicht dran! Er spuckte kuscheligste Felle in allen Farben aus. Ich war überwältigt. Und als dann meine "kleine" IKEA-Tasche mitten in den Säcken mit den Reißfasern stand, dachte ich "Wie soll die arme Müllerstochter all das bis zum Morgen zu Gold verspinnen...?"
Am andern Tag sagte der Verstand zur Müllerstochter, also zu mir "Du brauchst keine zehn Kilo Reißfasern plus 30 kg Neufasern zu verspinnen. Es reicht, wenn Du für ein Kleid spinnst!" das brachte nich irgendwie auf den Boden der Tatsachen zurück. Ab jetzt begann ein gleichmäßiger Tagesablauf: Fasern, neu und gerissen, abwiegen, kardieren, verspinnen, verzwirnen, ruhen lassen. Zwischenrein immer wieder alles für die Abschlussarbeit dokumentieren - abwiegen, aufschreiben, eintüten, fotografieren. Nachdem ich die Hälfte der Garnmenge gesoüponnen hatte, begann ich, das Kleid zu stricken. Und auch hier wieder - alles aufschreiben, alles fotografieren. Die ersten Bilder und Skizzen wurden bereits für die Präsentation geordnet. Mit dem Garnvorrat wuchs das Kleid, wuchsen die Bilder, die Seiten und die Präsentation. Und es wuchs der Stolz!
Der Stolz darauf, die eigene Idee verstanden zu haben (Ja, lacht nicht! Es kommt oft genug vor, dass im Gestaltungsprozess eine Sackgasse auftaucht und man die Idee nochmal neu denken oder abändern muss!) und sie abbilden und umsetzen zu können. Zur Präsentation wollte die Prüfungskommission neben dem Kleid auch Arbeitsproben zur Verwendung des Garns sehen. Kann man es stricken? Häkeln? Weben? Kann man damit vielleicht auch filzen? Ich habe viele kleine Rähmchen vorbereitet und das Garn in allen Einsatzbereichen gezeigt. Wie das aussah, seht Ihr oben.
Was war ich froh, erschöpft und erleichtert, als ich nach knapp zwei Monaten tatsächlich ein Kleid in den Händen hielt, das aus meinem handgesponnen Garn entsanden war! Es enthielt viele Kleidungsstücke, die mich zu verschiedenen Zeiten meines Lebens begleitet haben: in der Zeit, als mein Sohn noch ein Baby war, als ich einen tollen Auslandsjob im Kulturmanagement hatte, als ich mein zweites Studium absolvierte... Alle diese Erinnerungen haben mir gezeigt "Du kannst etwas, vertrau auf Dich! Du schaffst das!" Es war, als ob mir das Material selbst Mut zugesprochen hat.
Auf jeden Fall bin ich heute, nach bestandener Prüfung und knappp zwei Kilo gesponnenem Garn rückhaltlos begeistert von meiner Idee. Bestätigt haben mich meine Kundinnen, die die ersten Musterknäule schon kaufen wollten und die selbst die Reißfasern schon erworben haben, um sie selbst auszuprobieren.
Wie es jetzt weiter geht? Wir werden sehen. Auf jeden Fall gönne ich mir in absehbarer Zeit ein professionelles Spinnrad, das mehr Möglichkeiten bietet als meine "Babette", die mir eine nette Freundin für die Prüfungsarbeit zum Spinnen zur Verfügung gestellt hat. Ich werde mit anderen Materialien und Techniken experimentieren. Aber zuerst werde ich all die Sachen noch einmal ordnen, meine Gedanken zur Textilen Biografiearbeit ergänzen und die Begleitarbeit zum Projekt zu Ende schreiben. Ich habe nämlich mit meinen Garnen schon eine Einladung vom Forschungsinstitut zu einem Fachkolloqium im November. Das Spinnrad dreht sich weiter.
Feinabstimmung der Farben
Eins der neun bunten Vliese
Die Präsentation soll das Garn zeigen
Wiegen, messen, alles festhalten
Der Zuschnitt vor dem Reißwolf
Da sind sie alle!
Garne mit Charakter
Bunt und fröhlich und weich sind sie
Das Kleid bei der Anprobe
Prüfung und Ausstellung unikate acht